Das Werkzeug der Lyrik – Metrum und Reim
Das lyrische Ich träumt und spricht im Metrum und mit Reimen. Es ist wie beim Erzähler einer Geschichte: Verfasser*in und der lyrische Sprecher sind nicht identisch. Der*die Lyriker*in schafft eine fiktive Instanz, die von ihren Erfahrungen, Träumen, Gefühlen und Erlebnissen berichtet. Wie Metrum und Reim dabei als Werkzeug eingesetzt werden, erklären wir euch mit Beispielen hier.

Das Metrum lässt die Silben tanzen
Das Metrum ist das Versmaß: das Taktschema, in dem sich die Silben im Gedicht bewegen.
Die ersten Tanzschritte mit den Versfüßen
Bei dem Versfuß handelt es sich um den kleinsten Baustein des Verses, mit dessen Hilfe Rhytmus erzeugt wird. Je nach Betonung der Silbe differenziert man zwischen Jambus, Trochäus, Anapäst und Daktylus.
Beim Jambus folgt nach der unbetonten Silbe eine betonte (xx́). Beim Trochäus ist es anders herum (x́x).
Der Anapäst setzt sich aus zwei unbetonten und einer anschließend betonten zusammen (xxx́). Der Daktylus beginnt mit der betonten und endet mit zwei unbetonten Silben (x́xx).
- Beispiel Jambus: Verstand (xx́).
- Beispiel Trochäus: Götterfunken (x́x).
- Beispiel Anapäst: Sinfonie (xxx́).
- Beispiel Daktylus: Achterbahn (x́xx).
Die Standardtänze der Lyrik
Es gibt feste Versmaße, die dem*der Leser*in in der Literatur stetig begegnen. Dazu zählt zum Beispiel der Alexandriner, der aus einem sechshebigen Jambus besteht und oftmals in der Mitte eine Zäsur enthält. Der Vers commun ist ein zehnsilbiger Vers mit Zäsur nach der vierten oder sechsten Silbe.

Aus der Antike stammen der Hexameter und der Pentameter. Der Hexameter baut sich aus fünf Daktylen und einem Trochäus auf. Der Pentameter setzt sich zusammen aus vier Daktylen mit jeweils einer Hebung nach dem zweiten und vierten Daktylus zusammen und beinhaltet eine Zäsur.
Das Ende der Füße
Den Versschluss bezeichnet man als Kadenz. Er gibt Auskunft darüber, mit welcher Reihenfolge an Hebungen und Senkungen ein Vers endet. Man unterscheidet zwischen männlicher/stumpfer, weiblicher/klingender und der reichen/gleitenden Kadenz.
Bei der männlichen/stumpfen Kadenz endet der Vers mit einer Hebung. Diesen Fall hat man bespielsweise bei einem einsilbigen Wort wie Maus (x́).
Die weibliche/klingende Kadenz besteht aus der Kombination Hebung und anschließend eine Senkung – wie bei dem Wort sehen (x́x).
Die reiche/gleitende Kadenz ergänzt die letzte Variante mit einer zusätzlichen Senkung: nach einer Hebung folgen zwei Senkungen. Dies wird am Beispielwort Ebene (x́x́x) sichtbar.

So ein Reim ist fein
Ein Reim besteht aus dem Gleichklang von Wörtern ab dem letzten betonten Vokal. Sie sind sowohl in der Lyrik als auch in der Werbung beliebt, da sie beim Rezipienten sich besser in der Erinnerung verankern.
Die Qualität des Reims
Wörter reimen sich unterschiedlich gut aufeinander, deswegen ordnet man sie nach ihrer Qualität des Reimes ein. Klingen die letzten betonten Vokale exakt gleich, spricht man von einem reinen Reim. Bei einem unreinen Reim ist der Gleichklang ungenau.
- Beispiel reiner Reim: gehen – sehen
- Beispiel unreiner Reim: süß – Paradies
Ein Reim kann gleich klingen, obwohl es sich um zwei Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung handelt. Genauso ist es möglich, einen Reim mit dem gleichen Wort zu erstellen. Beides nennt man rührende Reimen.
- Beispiele: Bären – Beeren; Wild – wild
Die auffällige Ausnahme bildet die Assonanz. Bei ihr klingen lediglich die Vokale gleich.
- Beispiel: fahren – Tagen
Die Quantität des Reims
Die Quantität des Reimes wird nach der Silbenanzahl bestimmt und ist verknüpft mit der Bestimmung der Kadenz. Männliche stumpfe Kadenzen sind einsilbige Reime wie Kuss – Bus. Weiblich klingende Kadenzen bilden zweisilbige Reimen: gehen – stehen. Reiche gleitende Reime stellen die dritte Kategorie dreisilbige Reime dar. Ein Beispiel hierfür sind der Reim Reitender – Bestreitender.
Der Reim im Raum
Der Reim kann sich an unterschiedlichen Stellen in den Versen befinden. Im Anfangsreim reimen sich die ersten Worte in aufeinanderfolgenden Versen. Im Binnenreim befinden sich die Wörter, die sich reimen, innerhalb eines Verses. Der Endreim beinhaltet den Reim am Versende.
Reimfolgen und Schemata des Endreims
Der Endreim weist im Gegensatz zum Anfangs- und Binnenreim eine weitere Besonderheit auf. Man teilt die unterschiedlichen Reimschemata ein in Paarreim, Kreuzreim, umarmenden Reim und Schweifreim.
Im Paarreim folgt sich der Reim in zwei aufeinanderfolgenden Versen (aabbcc). Im Kreuzreim wechseln sich die Reime ab (abab). Im umarmenden Reim umarmt ein Reim den anderen (abba).
Der Schweifreim setzt sich aus zwei Reimen zusammen: Ein Paarreim wird mit einem umarmenden Reim verbunden (aabccb).

Allein im Reim – die Waise
Es kann vorkommen, dass ein einzelner Vers sich in einem Gedicht nicht reimt. Das ist oftmals kein Zufall, sondern wie das Einsetzen von Stilmitteln gezielt beabsichtigt.
Beispiel: “Willkommen und Abschied”
Anhand der ersten Strophe des Gedichtes “Willkommen und Abschied” von W. J. v. Goethe zeigen wir dir, wie eine Gedichtanalyse in der Praxis aussehen kann.

Beispiel “Willkommen und Abschied” von J. W. v. Goehte © STARK Verlag
- “Pferde” (a) – “Erde” (a): zweisilbiger, reiner Reim
- “Schlacht” (b) – “Nacht” (b): einsilbiger, reiner Reim
- “Eiche” (c) – “Gesträuche” (c): zweisilibger, unreiner Reim
- “da” (d) – “sah” (d): einsilbiger, reiner Reim
Es handelt sich jeweils um einen Endreim.
Tipps für die Praxis
Bei der Gedichtanalyse gilt wie bei jeder anderen Textanalyse: Übung macht den Meister! Nimm dir vor deinen Prüfungen zwei- bis dreimal die Woche ein Gedicht vor und versuche Schritt für Schritt alle Merkmale der Metrik und des Reims zu bestimmen. Du wirst merken, dass du jedes Mal besser wirst.
- Präge dir die vier Versfüße, die Versmaße und Kadenzen ein.
- Lerne die Unterschiede zwischen Reimqualität, Reimquantität, Reimstellung und Reimfolgen. Denke an die Waise!
- Spreche die Wörter deutlich aus, um Hebungen und Senkungen herauszuhören. Notiere über den einzelnen Silben, um was es sich handelt. Mit der Zeit wirst du verstärkt ein Gespür für den Rhythmus bekommen.
- Wenn du das Reimschema des Endreimes bestimmst, vergiss nicht, für jeden neuen Reim einen neuen Buchstaben zu nehmen!
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